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linocut, 2019, 49.5 x 34.5 cm
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linocut, 2019, 49.5 x 34.5 cm

Continental Divide

 

Etwas anderes sollte es sein, ein Motiv, das der Technik und Materialität des mir ungewohnten Mediums Linolschnitt entspräche. Während ich sonst mit staubigen und wässrigen Mitteln, aber stets ohne Vorskizzen auf Papier arbeite, begann ich hier damit, Autoreifen zu fotografieren. Frei nach dem Handybild zeichnete ich dann ein Rillenmuster, scannte und verfremdete die Skizze digital und übertrug schliesslich den Entwurf mit Farbstift auf braune Platten, die streng nach Torf und Petroleum rochen. Dann schnitzte ich los.
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Continental Divide heisst auf Englisch Wasserscheide. Obwohl ich es längst besser weiss, denke ich bei continental divide noch immer die Falschübersetzung mit, die "Trennung der Kontinente". Europa wäre gern eine Insel. Aber wir leben auf einem Wurmfortsatz Asiens und sind im Süden nur ein paar Kilometer von Afrika entfernt. Die Plattentektonik lehrt uns, dass alles, auch die Kontinente, in Bewegung ist – Ritzen weiten sich zu tiefen Gräben, während anderswo Landmassen kollidieren, bersten und sich zu Gebirgen türmen. Was nicht ist, kann noch werden.
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Neue Reifenprofile, sagt Wikipedia, werden aus handgefertigten Prototypen entwickelt: Spezialisten in Kitteln, sogenannte Reifenschnitzer, schneiden komplexe Furchenmuster in schwarze Gummistücke. 1904 begann die Firma Continental in Hannover, die weltweit ersten Autoreifen auf Kautschukbasis zu produzieren. Vulkanisierter Gummi war schon vorher ein begehrter Rohstoff, nicht zuletzt für die nationalen Militärindustrien; die Kautschukplantagen in Brasilien, Zentralafrika und Südostasien waren Schauplätze extremer Gewalt und Ausbeutung durch die Kolonialherrscher und ihre Nachfolger.
Während der beiden Weltkriege stieg der Bedarf an Gummiprodukten stark an. Die Continental AG konnte ab 1939 ihren Ausstoss, unter anderem von Flugzeugreifen und Gasmasken, nochmals steigern:
Das Unternehmen ersetzte die an die Front geschickten Arbeiter durch jüdische KZ-Häftlinge und osteuropäische Zwangsarbeiter*innen, die in fabrikeigenen Lagern gefangen gehalten, misshandelt und umgebracht wurden.
In der Sektion "Geschichte" auf der Webseite der Firma findet sich zu den Jahren 1939-1945 lediglich eine kurze Notiz, die die Anmeldung eines Patents vermerkt.
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Den Reifen sieht man nicht an, dass ihnen was fehlt; vielleicht sind es ja auch dunkle Berge. Beim Hochdruck schafft man Leerstellen und zeichnet mit Lücken, die am Ende ebenso viel Bedeutung tragen wie die übriggebliebenen Flächen.

 

Bettina Carl

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