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Grafik und Skulptur bestimmen das Oeuvre von Jürgen Raiber. Die Grenzen zwischen den beiden künstlerischen Medien sind fliessend, beide befruchten einander in einem ständigen Wechsel und immer wieder ist es die menschliche Figur, ihre Ausdruckskraft und ästhetische Aussagefähigkeit, die er plastisch oder planar erfasst, typisiert und umsetzt.
An der Schwelle seines künstlerischen Tuns stand die Grafik. Währende seines Studiums an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und in dem anschliessenden Meisterschülerstudium setzte er sich intensiv mit der Zeichnung, der Radierung und dem Holzschnitt auseinander, fand eine eigene Formsprache, um seine Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken in ästhetische Vorstellungen umzusetzen. War es anfangs das prägende, einander beeinflussende Verhältnis von Mensch und Milieu, welches ihn faszinierte, löste sich mit der Hinwendung zur Skulptur diese Symbiose auf. Die Figur befreite sich aus ihrer Milieugebundenheit, trat in den freien Raum und wurde verabsolutiert. Er schuf Prototypen, deren Charaktere und deren Lebensbezüge sich aus ihrer Körperkonstitution und einer expressiv überhöhten Gestik entwickelten und überzeugten.
Diese Prototypen variierte er in einer Folge von Holzskulpturen, die dann Eingang in seine Holzschnitte fanden. Die elementare Erfahrung einer greifbaren modellierten Körperlichkeit und voluminösen Plastizität wurde nun in den Holzschnitten wieder in die Planarität der Fläche zurück gedrängt. Immer auch den Spannungsbogen zwischen Planarität und einer Illusion des Plastischen ausspielend. Eine konkrete Raumvorstellung ist aufgehoben.
Objekt der vorliegenden Holzschnittserie ist eine einzeln oder in Vervielfältigung sich präsentierende archaisch anmutende Frauengestalt mit schweren Rundungen, ein weibliches Urbild, das sich aus der Masse herausschält und dessen Gesichtszüge kaum zu erkennen sind, eine Metapher des Ursprungs und des Überlebens. Sie weckt Erinnerungen an Plastiken früher Erdmütter und Fruchtbarkeitsgöttinnen, die aber durch eine ironische Akzentuierung gebrochen und ins Heute transponiert werden. Uninteressant an repräsentativer Haltung und weit entfernt von einem klassischen oder gar modischen Schönheitsideal füllt sie, absolut dominant, als monumentale Einzelfigur oder als Gruppe spiegelbildlich versetzter Einzelfiguren die Fläche aus, unerschütterlich in ihrer Stämmigkeit und vitalen Kraft. Die Komposition der Blätter ist bestimmt durch jene der Plastik eigene Statik. Aber nun erleben wir von Blatt zu Blatt eine grafische Metamorphose der Form im Dialog mit dem Sujet. Sich wandelnde Holzschnittstrukturen differenzieren zwischen einer kompakten, silhouettenhaft erfassten Figürlichkeit durch das Einbringen belebender und bereichernder Binnenstrukturen oder führen durch einen abrupten Wechsle der Struktur bis hin zu einer morosen Auflösung der vier weiblichen Gestalten, die sich nun in eine dämonische Sphäre zu entziehen trachten, aber nicht ohne eine tragikomische Nuance.
In diesen Blättern erweist sich Jürgen Raiber als ein Holzschneider, der sein Material mit einer ungebrochenen Kraft, Vitalität und Expressivität bearbeitet. Es gibt in seinen Arbeiten keine stereotyp wiederholten Klischees, im Gegenteil, spontan getroffene Formentscheidungen bestimmen den Arbeitsablauf. Dabei belässt er die Dinge eher ungeglättet, um ihre elementare Kraft nicht zu brechen. Hier spürt man den Holzbildhauer, der auch bei seinen grossen Plastiken ohne Vorzeichnung den Block behaut. Eine imaginierte Vorstellung realisiert sich im Prozess. Die Kenntnis der menschlichen Figur ist durch das jahrelange zeichnerische Training soweit verinnerlicht, dass sie jederzeit abrufbar seinen ästhetischen Formvorstellungen und seiner Formphantasie gehorcht.

 

Dr. Annelise Hübscher

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