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Aleatorische Formen – so nennt Jean-Jacques Volz die Serie, aus der die hier vorliegenden Blätter stammen. aleatorisch <Adj.> [lat. aleatorius = zum Würfelspieler gehörend] vom Zufall abhängig, auf Zufall beruhend, dem Zufall überlassen. So lehrt uns das Wörterbuch. Was hat der Zufall aber mit den Holzschnitten von Jean-Jacques Volz zu tun?
Die Verwandtschaft der Blätter ist offensichtlich: Alle Bilder sind geprägt vom Gegensatzpaar schwarz – weiss, sind hochformatig und sind abstrakt. Manchmal erahne ich vielleicht einen konkreten Ausgangspunkt, aber nie wird mir vorgeschrieben, was ich im Bild zu sehen habe. Der Betrachter wird auch nicht gelenkt, was er für wichtig zu beurteilen hat und was nicht, vielmehr sind alle Linien und Flächen gleichbedeutend und nehmen mein Auge mit in ihrem Tanz.
Die Bilder mit Linien überwiegen. Sie drücken Bewegung aus und machen Leben sichtbar. Obwohl der Holzschnitt ein langsames und bewusstes handwerkliches Vorgehen verlangt, strahlt aus den Bildern Spontaneität, Jugendlichkeit, Dynamik. Ich spüre bei jedem Blatt die Freude des Künstlers, im gegebenen engen Feld ein neues Spiel auszuprobieren. Enthalten die Bilder grössere Flächen, so werden diese oft durch kleine Binnenflächen gebrochen und verlieren dadurch ihre Schwere. Vibrierende Lebendigkeit geht auch von der Unregelmässigkeit des Rands der Linien und Formen aus; beim Übertragen des Entwurfs auf den Druckstock hinterlässt das Hohleisen seine Spur.
Überblicken wir alle Blätter zusammen, so entsteht der Eindruck, das einzelne Bild sei ein Ausschnitt aus einem grossen Gesamtwerk, und ich habe das Gefühl, ein Bild könnte an das andere angesetzt werden.
Und doch steht eindeutig jedes Blatt für sich und ist ein in sich geschlossenes, fantastisches Ganzes. In nebenstehendem Bild steht rechtwinklig zu einer dominanten Linie im unteren Bildfeld eine zweite, in die obere rechte Ecke führende Diagonallinie. Im Kreuzpunkt der beiden breiten Balken erscheint ein weisses Binnenfeld, das mit einem kleinen Keil nach oben zeigt und damit die Richtung der aufsteigenden Linie verstärkt. Durch feine, mit dem Keil kor respondierende Splitter wird die Diagonale im oberen Teil abgeschlossen. Vom unteren Balken aus weisen je drei dünne, gebogene Linien hinauf nach links oben und hinab nach rechts unten. Auf den ersten Blick erscheinen sie parallel, aber beim genaueren Hinschauen erkennt man, dass sie sich wie Fächer auseinander bewegen und alle ihren eigenen Weg suchen. Sie geben dem Bild eine Leichtigkeit, die durch die Verteilung von Schwarz und Weiss unterstützt wird. Da der obere Bereich einen viel grösseren Weissanteil enthält und dieses Weiss nicht, beziehungsweise erst durch den Blattrand, begrenzt ist, erscheint das Bild hell und leicht. Dem Schwarz hingegen sind Grenzen gesetzt und es muss sich gegen das Weiss behaupten.
Jean-Jacques Volz spielt mit dem Auge des Betrachters, lässt Linien parallel erscheinen, um sie dann aber auseinander streben zu lassen, er setzt Grenzen, wo es keine gibt, und hebt Grenzen auf, wo man sie erwartet. Wo liegt bei alledem der Zufall, von dem im Titel der Serie die Rede ist? Der Zufall spielt seine Rolle im Entstehungsprozess des Werks. Am Anfang eines Bildes steht eine Skizze, oft nur ein Gekritzel. Der nächste Schritt ist ein mit breitem Pinsel gemalter Entwurf. Diesen zerlegt Jean-Jacques Volz in einzelne Teile und setzt diese wiederum zu einem neuen Bild zusammen, das dann die Vorlage für den Holzschnitt ergibt. Dieses Vorgehen des Zerlegens und Neuzusammensetzens erfolgt jedes Mal nach der gleichen geometrischen Regel und erklärt die auf vielen Blättern anzutreffende aufsteigende Diagonale bzw. das Dynamische, das jedem Bild innewohnt und den Betrachter so positiv und optimistisch stimmt. Verständlich wird nun auch der Eindruck, ein Bild könnte in einem anderen Bild seine Fortsetzung finden.
Sind diese Werke also nur Produkte von unkontrolliertem Zufall und unbeabsichtigter Beliebigkeit?
Nein, im Gegenteil: Jean-Jacques Volz lenkt den Zufall zielsicher in bestimmte Bahnen, der Zufall ist nur der Ausgangspunkt, von wo aus das künstlerische Spiel ausschweift und keine Grenzen kennt. Das Spielfeld wird zu einem bewusst gestalteten Bildfeld, auf dem unser Auge zum Mitspieler wird und sich mit dem Künstler freut über die Lust am Komponieren.

 

Germaine Stucki

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