Bild Umschlag
Neujahrsblatt 1970, Vergrösserte Reproduktion von Seite 1
Bild Seite 1
Neujahrsblatt 1970, Holzstich, 1968
Bild Seite 2
links: zu Goldoni «Arlecchino, servitore di due padroni», Holzstich, 1968
rechts: aus «Genesis, Die Schöpfung der Welt», Vierfarbenholzschnitt, 1965
Bild Seite 3
links: aus Stifter, «Der heilige Abend», Holzstisch, 1960
rechts: aus Thomas Mann, «The MagicMountain» (
rechts oben: Zinc-Klischees, rechts unten Holzstich, 1961
Bild Seite 4
links: aus Hofmannsthal, ;Lucidor», Holzstich, 1959
rechts: aus Stoker, «Dracula», Holzstich 1964
Bild Seite 5
«zu Ramuz, «L’histoire du soldat»», Holzschnitt, 1972

Pro domo: Einiges über das Illustrieren

 

Gewiss, man kann in einem Buch einfach gute Graphik machen, sich als Formalist fragen, wozu man sich überhaupt auf den Text beziehen und das darin Gesagte noch einmal sagen soll. Aber ich sitze auf einem andern Ast. und ich meine, dass gute Graphik noch keine Illustration ist. was aber nicht bedeutet, dass eine schwache Zeichnung je eine gute Illustration sein könne. Die Bindung an die Bucharchitektur, die Textkolumne und ihre Stellung zum unbedruckten Weiss,Dichte und Charakter der Schrifttype: Das alles verpflichtet zu höchster Anstrengung in der Formgebung. Aber ich sehe den Illustrator als Partner nach zwei Seiten, als Partner des Autors und des Lesers. Je enger der Bildgestalter mit dem Textschreiber verbunden ist, desto mehr wird der Zeichner zum Mittler und Ausdeuter, indem er die Anschaulichkeit und Eindringlichkeit des Wortes steigert und verdichtet. Neben dem nie erlahmenden Bemühen um die graphische Gestalt gerade für dieses Buch und gerade für diese Stelle im Buch, steht das willige Bemühen, den Pfaden des Erzählers nachzugehen, die Welt, die der Dichter erschafft, im bildnerischen Spiegel sichtbar zu machen (Preetorius). Es ist seine Sache, im Text Ungesagtes oder was der Sprache nur unvollkommen gelingt, in seinem Medium hinzuzufügen, bloss Angedeutetes aufzugreifen und weiterzuspinnen und als mehr oder weniger freie Paraphrase zu gestalten.
Man kann sich fragen. was dann z. B. Thomas Mann oder Adalbert Stifter in ihren mit äusserster Akribie ausgeführten Schilderungen dem Illustrator noch überlassen. Ich sehe es darin, dem in der Zeit forteilenden Wort als Kontrast das im Raum verharrende Bild zu gesellen. und damit die über Seiten hin sich breitende Schilderung zusammenzufassen und bildhaft werden zu lassen. Es ist in diesem Falle auch Aufgabe des Zeichners, die Doppelbödigkeit des scheinbar Äusserlichkeiten abbildenden StiIs Thomas Manns sichtbar zu machen, die Erscheinung auf eine übertragene Weise vor das schauende Auge zu stellen.
Die Illustration ist also für mich angesiedelt zwischen Verdichtung und erweiternder Paraphrase.
In jedem Falle soll sie aber Verallgemeinerung sein, ich meine, eine spezielle – auf die Personen im Text bezogene – Situation so auf das Wesentliche zu reduzieren, dass sie durch ihre Allgemeingültigkeit auch auf den Leser passt und eine Brücke zu seinem eigenen Erleben schlägt.
Goethe schreibt in einem Brief an Zelter über dasselbe im lyrischen Gedicht :«… dass sie (die Leser) zufrieden sein sollten, dass ihnen irgend einer das Speziale so in’s Allgemeine hervorgehoben, dass sie es wieder in ihre eigene Spezialität ohne weiteres aufnehmen können.»
Dazu gehört. dass der Illustrator sein eigenes Erleben und seine persönliche Fantasie einfliessen lasse. Alle Fantasie ist Erinnerung. lch meine aber nicht nur den individuellen und bewussten Erinnerungsschatz. sondern dazu das kollektiv Unbewusste, die Ablagerung der Erinnerungen und Vorstellungen vieler Geschlechter. Es gibt übrigens keine Form, die ein Mensch sich ausdenken und darstellen könnte. die nicht schon in der Natur in irgend einer Dimension sichtbar vorgebildet wäre. Unter Natur verstehe ich neben aIIem, was unsere Sinne ohne weiteres aufnehmen, auch alles, was Mikroskop und Teleskop uns sichtbar, und neuerdings auch Zeitraffer und Zeitlupe schaubar gemacht haben.
Das Reduzieren auf das Wesentliche bedeutet Vereinfachung.Das Einfache ist das eigentliche künstlerische Ziel. Aber es hat eine Schwester: die Dürftigkeit. Was in der Werbegraphik das Richtige ist, das Zurückführen auf ein Zeichen oder gar ein Signal. das auch dem Vorübereilenden optisch fassbar ist, sich aber beim ersten Anblick schon erschöpft: Das ist für mich nicht die ideale Illustration. Diese möchte dem unentwegt über die Zeilen hineilenden Auge eine Fermate sein, auf dem es ausruhen kann, ein Ort des Verweilens. Und dazu gehört für mich ein gewisser Reichtum im Formalen.
Ständiges Naturstudium gehört dazu. die Vorstellungswelt des lllustrators immer wieder anzureichern. Intensive Detailstudien. Landschafts- und Strassenräume. vor allem aber Menschen in immer neuen Situationen und Konstellationen. Man kann das zeichnen, skizzieren oder auch nur bewusst schauen und registrieren. aber man staunt immer wieder darüber, wie viel schöner und reicher die gegenständliche Wirklichkeit ist, als man es sich hätte ausdenken können.
Es ist schon so, wie Dürer vom Künstler geschrieben hat: «… denn er geusst aus, was er lange Zeit von aussen in sich eingesammlet hat.»

 

Felix Hoffmann

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