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Theo Hurter: Die dunkle Seite des Mondes

 

«Der Künstler ist ein Wanderer und Kunst nur ein Wort für die Spur, die er hinterlässt.» T.H.
Aus diesem Satz spricht, in elementarer Konzentration, mehrfache Wahrheit. Ein Künstler steht nicht still, er befindet sich immer während auf Suche, und sein Tun bleibt sichtbar, auch wenn er schon wieder weiter ist … Zugleich sind eindeutig Grundbedingungen aller Kunst formuliert, aber ganz ohne feierliches Postulat: Es geht um die Freiheit und um das Fortschreiten, es geht um den einen, der allein seinen Weg geht, und – vielleicht, aber unausgesprochen – um die, welche seine Spuren kreuzen, suchen, finden … Denn im Satz selbst ist das Publikum nur indirekt im «offenen Ende» vertreten, wenn man sich fragt, wer denn auf die hinterlassenen Spuren treffen, sie gar lesen und deuten wird. Die Freiheit, die sich hier andeutet, ist eine philosophisch-existentielle: Der Künstler bewegt sich nicht auf ein Ziel zu, und der Spur ist kein Zweck zugeordnet, nicht einmal ein klares Verhältnis zum «Spurenleser» klingt an. Das Bild, das dieser Satz schafft, zeigt einen in seinem Tun im Grunde einsamen Menschen, der seine Bahn in eine offene Zukunft zieht. Man blickt ihm nach.
Solange Kunstwerke überdauern und damit weiter wirken als nur im Moment des Entstehens, ist ihre zukünftige Rezeption und Deutung nicht voraussagbar. Damit ist zunächst jedes an die Kunst gerichtete «Was soll das?» als obsolet entlarvt. Was soll eine Spur? Mensch wie Tier hinterlassen Spuren, ob sie wollen oder nicht. Gewisse Spuren sind aber mehr als nur zufällig: Solche, die auch im übertragenen Sinne Eindruck machen, eine Botschaft tragen. Territorien werden markiert, Zeichen gesetzt, Wege gewiesen … Also halt! Bedeuten diese Spuren dann doch Bestimmtes? Und wenn Kunst die Spur des Künstlers, wäre sie folglich lesbar – dem, der sich aufs Spurenlesen versteht?
Ein Blatt Papier, wie ein frisch beschneites Feld – Leere, ausgespannte Zeit. Plötzlich, ein Strich, eine Spur: Ein Leben, ein Geschehen. Später hat sich mehr abgezeichnet: Ganze Knäuel von Ereignissen, Kommen und Gehen, Zusammentreffen, Kreuzen … Ein Ergebnis? Einzelnes kann der Betrachter wohl deuten – was aber bleibt, ist die Ausschnitthaftigkeit. Jede Spur ist Markierung eines Vorübergehenden, etwas bereits Dagewesenen, das nun wieder anderswo ist, jede Spur ist Passage, denn sie ist schon passiert. Sie ist ein Zeitdokument. Etwas, das nur vorübergegangen ist, gewinnt in der Spur Dauer, wird manifest. Die Spur ist nicht zu verwechseln mit demjenigen, von dem sie gezogen wurde, und auch des Künstlers Spur ist nicht der Künstler selbst. Sie stammt von ihm, ist aber als Erscheinung ein Eigenes, ganz Anderes, und manchmal so unbekannt wie etwa die Rückseite, die «Dunkle Seite des Mondes».
Diesen Titel hat Theo Hurter der vorliegenden Holzschnittreihe gegeben. Die sich krausenden, von Blatt zu Blatt dichter werdenden Linien, manchmal wie mit einem Rändel punktiert, umreissen Volumen und breiten sich in Ebenen aus. Es entstehen Formationen, die sich wie Landschaften zeigen. Was gilt als eine Landschaft? Räumlich sich Dehnendes, plastisch Erscheinendes, das optisch von Licht und Schatten oder ganz tatsächlich von Wind und Wetter geformt ist, das sich durchmessen lässt und immer etwas besitzt, wo man erst noch hinkommt oder von dem man sich schon wieder entfernt.
Die «Landschaft» mag so dem Wanderer Theo Hurter das angemessenste Motiv sein. Aber ist die «Dunkle Seite des Mondes» nicht viel metaphorischer? Offenbar erhellt uns der Künstler generell die stets dunkle Seite, er taucht in die uns abgekehrte Welt und wir sehen die weissen Linien wie Lichtspuren, die jene Bewegung nachzeichnen, mit der er die unbekannte Welt durchmessen hat. Jede Vorstellung von dem, was nie dinghaft begreifbar, nie real gesehen wird, ist eine «Dunkle Seite des Mondes». Jede Vorstellung, jedes Bild, ist somit wie die Oberfläche des Unbekannten. Hier wandert der Künstler, und ihn interessiert, was hinter dem Bild, unter dieser Oberfläche ist. Genau dieses Interesse erzeugt die Spuren, die Werke, die Bilder – das Dahinter aber legen sie nicht bloss, sonst müssten sie, die Bilder, alle verschwinden …

 

Regina Lange

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